SchreibKOMPETENZ – 1. Automatisierung
Schreibbewegungen - besser automatisiert als kontrolliert
Schreibspuren
Um die obere Zickzack-Linie zu spuren brauchte es eine koordinierte Schreibmotorik in knapp drei Sekunden: Beschleunigen mit Tempoaufbau, Stopp vor jedem Richtungswechsel und Druck des Stifts auf die Schreibunterlage. Auch die 2. Zickzack-Linie wurde in 3 Sekunden geschrieben. Die Form ist nahezu gleich, die Bewegungsphasen haben sich aber verdreifacht. Die Beschleunigung erfolgte dynamischer und die Geschwindigkeit war entsprechend höher. Anders formuliert: Die Schreibhand hat das Gaspedal so richtig durchgedrückt.
Diese kinematischen Aspekte der Bewegungsausführung wie Geschwindigkeit oder Beschleunigung können aber nicht direkt der Schriftspur entnommen werden, dazu benötigt es weitergehender Analysen.
Kinematik - die Spektralfarben des Schreibens
Immer wenn die Hand mit dem Stift Figuren spurt oder schreibt beginnt das Zusammenspiel der kinematischen Parameter und hinterlässt einen einzigartigen „Fingerabdruck“. Mit der Schreibanalyse CSWin ist eine individuelle und prozessorientierte Datenerhebung möglich. Sie zeigt auch, in wieweit die schreibmotorischen Ausführungen kontrolliert oder automatisiert erfolgt sind.
Die Grafik „SchreibMotorikPrisma“ soll vereinfacht zeigen, dass sich, wie bei der Zerlegung von weißem Licht in seine Spektralfarben, auch jede Schreibbewegung in spezifische Paramter der Kinematik wie Geschwindigkeit, Beschleunigung, Rhythmus, Druck u.a. aufspalten lässt. Aus jeder Zeichnung oder jeder Schreibspur können mit dem Programm CSWin diese kinematischen Parameter erhoben werden. Anhand dieser Daten können die schreibmotorischen Prozesse bewertet und zielgenau in die SchreibmotorikPraxis eingebunden werden.
Automatisierte oder kontrollierte Bewegungen - die Aufgabenstellung entscheidet
Die Art der motorische Ausführung hängt immer auch von der Aufgabenstellung ab. Beide Zick-Zacklinien hat ein routinierter Schreiber in drei Sekunden gespurt. Bei der ersten Ausführung sollte ergänzend darauf geachtet werden, dass die Zacken möglichst spitz sind. Die kinematische Schreibanalyse zeigt die Unterschiede im vergrößerten Diagrammausschnitt deutlich: Die langsamere Geschwindigkeit und die unregelmäßigen Ausschläge im Geschwindigkeitsprofil (links) sind typisch, wenn das Großhirn die motorische Steuerung für kontrollierte Schreibbewegungen übernimmt.
Bei der freien Ausführung (rechts) werden die Auf- und Abstriche automatisiert ausgeführt, d.h. die Muskulatur der Finger-Handbewegung beschleunigt und bremst genau nur einmal in einem Teilstrich, was im Automationsgrad dem Idealwert von NIV=1 entspricht. Beim nächsten Teilstrich beginnt dieses Zusammenspiel von Neuem, mit einer extrem hohen Wiederholgenauigkeit der Bewegungen. Bei langsameren und nicht-automatisierten Bewegungen (links) ergeben sich für einen Teilstrich mehrmalige Beschleunigungs- und Bremsvorgänge mit unregelmäßigem Kurvenverlauf und einem Wert von NIV > 2.
Übungen zum Nachspuren blockieren Bewegungserfahrungen
Übungen zum Nachspuren lassen sich massenweise kostenlos aus dem Netz herunterladen und versprechen eine wirkungsvolle Vorbereitung für das Schreibenlernen, insbesondere schon in der Vorschule. Der Erfolg scheint garantiert. Schon Vierjährige spuren langsam, sauber und konzentriert auch die schwierigsten Spurvorlagen nach. Sie sind beschäftigt und Übung macht bekanntlich den Meister. In der Anfangsphase des Schreibenlernens, wenn durch gezielt kontrollierte Bewegungen die Buchstabenformen erschlossen werden, können Nachspuraufgaben tatsächlich eine hilfreiche Orientierung geben.
Die SchreibmotorikForschung und Schreibanalysen mit CSWin zeigen aber, dass Nachspur- und Kopierübungen typischerweise sehr langsame und nicht-automatisierte Zeichenbewegungen sind und mit dem eigentlichen Schreiben wenig zu tun haben. Anstelle einer harmonischen Bewegung erfolgt ein ständiger unrhythmischer Wechsel von Beschleunigung und Abbremsen. Die Kinder machen so keine ausreichenden Bewegungserfahrungen, wie sie für das eigentliche Schreibenlernen notwendig sind. Übermäßiges Üben mit permanent langsamen Spurbewegungen fördert eine ungünstige Strategie der permanenten Bewegungskontrolle, die einer späteren Bewegungsautomatisierung im Weg steht.
Bewegungsdynamik von Beginn an
Die Details im Buchstabenablauf erfordern in der Schreiblernphase eine erhebliche Merkfähigkeit. Offensichtlich geht deshalb von der Buchstabenform eine visuelle Aufforderung aus, die Striche möglichst exakt zu schreiben bzw. genau zu kopieren. Unterstützt wird dies auch in diversen Schreiblehrgängen, den „heimlichen Lehrplänen“ des Schreibenlernens. Jeder Buchstabe gleicht dem nächsten. Dadurch wird dem Kind eine Exaktheit vorgetäuscht, die mit der Handschrift nicht erreicht werden kann. Diese unausgesprochenen Genauigkeitsansprüche werden durch Nachspurübungen verstärkt. Übertroffen wird dieser problematische Ansatz noch durch Rillenbuchstaben (s.Lupe), die visuelles Abweichen auch taktil verhindern.
Schreibmotorische Bewegungserfahrungen in Zeitlupe fördern die Augenkontrolle und das formbetonte langsame Schreiben. Sie behindern eine kinematische Entwicklung und schreibmotorische Prozesse nachhaltig. Langsam, exakt und zielgenau wird der „schöne“ Buchstabe zu Papier gebracht und gelobt. Eine Bewegungsdynamik von schnellem Spuren wird nicht unterstützt.
Stattdessen wäre es günstig das motorische Lernsystem zu aktivieren und die Bewegungskompetenz schon möglichst frühzeitig zu entwickeln. Dazu benötigt es Erfahrungen von dynamischen Spur- und Schreibbewegungen. Unterstützend wirken dabei variable Aufgabenstellungen, variable Ausführungsformen, oder sinnvolle Toleranzbereiche, zur Förderung der Effizienz, aber auch immer unter Beachtung der Lesbarkeit.