SchreibPROBLEME – 3. Schreibtraining nach Mai

Motorisches Schreibtraining nach Prof. Mai & Kollegen

Das motorische Schreibtraining wurde ursprünglich von Prof. Norbert Mai und Dr. Christian Marquardt konzipiert und in der Vergangenheit durch weitere Kollegen/innen weiterentwickelt. Aus diesem Grund wird das Schreibtraining nach Prof. Mai und Kollegen als Münchner Schreibmotoriktraining weitergeführt. Das Konzept kann bei verschiedenen schreibmotorischen Störungen (z.B. nach Schlaganfall, bei Morbus Parkinson, Multipler Sklerose oder aufgabenspezifischen Dystonien wie dem Schreibkrampf) eingesetzt werden.

Es besteht im Wesentlichen aus drei Teilen und umfasst

  • eine ausführliche Leistungserfassung, u.a. mit computerunterstützen Tests
  • ein motorisches Trainingsprogramm und eine Beratung unter Supervision eines spezialisierten Therapeuten
  • den Transfer der erlernten Übungen auf individuelle Alltagssituationen

Die Leistungserfassung (Diagnostik) umfasst ein ausführliches Anamnesegespräch und klinische Untersuchungen mittels computergestützter Schreibtests (CSWin), bei denen verschiedene Parameter (z.B. Schreibdruck, Schreibfrequenz, Automationsgrad) beim Schreiben und den elementaren Grundkomponenten der Schreibbewegung analysiert werden.

Das Buch “Schreibtraining in der neurologischen Rehabilitation” ist im Eigendruck wieder erhältlich, inklusive Mwst und Versand für 12,90 EUR in Deutschland und 14,90 EUR in der EU. Bestellung unter info@medicalcomputing.de“.

Folgende Aspekte lassen sich wie in diesem Beispiel eines Patienten mit Schreibkrampf in der Leistungserfassung mit CSWin erkennen:

Der Testsatz konnte nicht in der vorgegebenen Aufnahmezeit von 20s beendet werden (T=19286ms). Das Schreiben ist verlangsamt (stark verminderte Frequenz, f=1.10 Hz), die zum Testsatz zugehörige Geschwindigkeitskurve (vy) zeigt zahlreiche und unregelmäßige Inversionen mit sehr geringen Spitzengeschwindigkeiten. Auch bei der Produktion von Schleifen ll zeigt sich die starke Verlangsamung in den Geschwindigkeits- und Beschleunigungskurven und ist als gravierende Störung der Automatisierung zu interpretieren.

Der Druck mit dem Stift auf das Papier ist etwa doppelt so hoch wie bei vergleichbaren Kontrollpersonen (Druck=2.38N, 2. Kurve). Bei der zusätzlichen Beobachtung des Schreibverhaltens sieht man zudem, dass bei dem Patienten mit Schreibkrampf der Druck auf die Unterlage bzw. das Papier durch den Unterarm stark erhöht ist und der Oberarm am Körper fixiert wird. Das Handgelenk ist abgehoben und in gebeugter Handgelenksstellung. Außerdem wird der Stift mit erhöhter Kraft und verkrampften Fingern gehalten (Griffkraft).

Ein besonderer Aspekt zeigt sich jedoch beim übereinander zeichnen von Ellipsen (Kringeln). Hier zeigt der Patient im Vergleich zu den vorherigen Leistungen eher wenig Probleme. Die Geschwindigkeit ist schneller, der Druck wurde vermindert und die Profile der Phasendiagramme lassen eine Regelmäßigkeit erkennen.

Was bedeutet das?

Letztlich ist der Bewegungsablauf bei der Produktion von Schleifen ll der gleiche wie bei der Produktion von Kringeln. Nur dass die Kringel auf der Stelle übereinander gezeichnet werden, während bei der Produktion der Schleifen die Hand und der Arm in die Schreibrichtung weiterbewegt werden.

Zwei grundsätzliche Hypothesen sind denkbar, warum die Bewegung „Kringel“ erhalten bleibt und die Bewegung von „Schleifen“ wie bei dem ll  nicht gut abrufbar ist:

  • Zum einen ist denkbar, dass die Störung im Bewegungsablauf bei der Produktion von ll mit der Intention zu schreiben gekoppelt war, die Produktion von Kringel dagegen nicht und somit funktioniert der Bewegungsablauf.
  • Zum anderen verhindert die Fixierung des Oberarms am Körper und der hohe Druck des Unterarms auf das Papier eine flüssige Bewegung von Hand und Arm in Schreibrichtung. Dies ist aber bei der Produktion von ll notwendig, nicht aber beim Übereinanderzeichnen von Kringeln.

Das Besondere am Schreibtraining nach Prof. Mai und Kollegen ist, dass vorhandene Leistungen bzw. Stärken des Patienten als Potential für das Training genutzt werden. So können Bewegungsabläufe wieder abgerufen und andere motorische Fehlstrategien abgebaut werden.

Die spezifischen Trainingseinheiten finden unter Supervision eines spezialisierten Therapeuten statt. Dadurch soll die Möglichkeit eingeschränkt werden, dass sich weitere falsche Muster oder Bewegungen etablieren können. Konkrete Inhalte des Trainings sind z.B.

  • Festlegen der individuellen Schreibziele
  • Nutzen und Aufbau vorhandener Leistungen (wie z.B. der Produktion von Kringeln)
  • Abbau von erlernten Fehlstrategien (z.B. zu starkem Kontrollieren) und (Re)-etablierung adäquater motorischen Strategien
  • Erstellen eines individuellen Heimprogramms

Fortschritte sind meist nach vier bis fünf Einheiten zu erkennen, dann erfolgt der Transfer auf Alltagssituationen.

Im obigen Beispiel sind nach Festlegung der individuellen Ziele mehrere Behandlungsoptionen denkbar:

  • eine Veränderung der Stifthaltung kann eine Reduktion des Schreibdrucks und der Griffkraft bewirken
  • eine Betonung der Bewegung (v.a. große Bewegungen) anstelle der Form kann hilfreich sein, z.B. soll der Patient lieber bedrucktes Papier als weißes Papier verwenden, sonst ergibt sich leicht die Anforderung, dass die Schrift schön und ordentlich sein muss (siehe Video)
  • nicht nur die Bewegung der Finger und der Hand, auch die dynamische Bewegung des Unter- und Oberarms sollte in das Training integriert werden
  • die Integration von Pausen beim Schreiben; wann und wie können Schreibpausen sinnvoll genutzt werden (z.B. Hand wird während des Korrekturlesens gelockert)

Video Übung_SK

Es werden schnelle und flüssige Striche von links nach rechts gezogen. Dadurch wird die dynamische Bewegung des Armes in Richtung der Schreibbewegung initiiert. Kursive ll  werden dann in die Bewegung gestreut. Da der Schwerpunkt auf der Bewegung und nicht auf der Form liegt, wird zunächst mit bedrucktem Papier geübt.

Durch unterschiedliche Untersuchungen konnte belegt werden, dass Patienten nach einem absolvierten Schreibtraining ihr Schreibverhalten verbessern konnten (Schenk et al. 2004; Baur et al. 2006, 2008, 2009). Nicht immer kann aber eine vollständige Heilung erreicht werden.

Neben dem Münchner Schreibmotorik Training nach Prof. Mai und Kollegen wird u.a. auch an der Uniklinik in Kiel an aufgabenspezifischen Dystonien geforscht und verschiedene Interventionen untersucht (z.B. Prof. Dr. Kisten Zeuner „Arbeiten mit Therapieknete“, „Training mit Fingerschienen“ oder das „Sensibilitätstraining nach Zeuner“). Außerdem gibt es einen Ansatz, der mit gezielter Verlangsamung (slow down exercises nach Sakai) arbeitet oder teilspezifische Ansätze wie die Verwendung von TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation) zur Lockerung der Muskulatur sowie die Immobilisierung von Unterarm und Hand mit einem anschließenden Aufbautraining der dystonen Extremität.

In vielen großen neurologischen Kliniken gibt es mittlerweile Dystoniesprechstunden. Die Deutsche Dystonie Gesellschaft (DDG) kann ebenso weiterhelfen.

Nach oben