SchreibLernKONZEPT – 4. Zusammenspiel kinematischer Parameter
Kinematische Parameter im Schreiblernkonzept
Zusammenspiel der kinematischen Parameter im SchreibTraining
Jedes Mal, wenn mit einem Stift gespurt, gekritzelt oder geschrieben wird, beginnt das systemische Zusammenspiel der „Spektralfarben des Schreibens“, benannt nach der Metapher des „SchreibMotorikPrismas“.
Fachwissenschaftlich sind dies die kinematischen Parameter Geschwindigkeit – Beschleunigung – Rhythmus – Bewegungsprofil, sozusagen das getaktete Betriebssystem jeder Spur- und Schreibbewegung.
Die Grafik „SchreibMotorikPrisma“ visualisiert einerseits die kinematischen Grundparameter einer jeden Schreibbewegung, andererseits zeigt sie – mit einem Perspektivwechsel auf die SchreibPraxis – dass die im Prisma aufgespaltenen Regenbogenfarben durch Bündelung wieder „weiß“ werden.
Für die Kinder und Eltern im SchreibMotorikTraining ist die Vorstellung mit den Spektralfarben des Schreibens sehr hilfreich. „Wenn ich mit den Regenbogenfarben trainiere, wird meine Schrift bunter“, oder anders formuliert: Die „Spektralfarben des Schreibens“ sind die zentralen Trainingsfelder für eine erfolgreiche SchreibMotorik.
Das Trainingsfeld Kinematik der Spur- und Schreibbewegung
Die Grafik zeigt die grundlegenden kinematischen Parameter jeder Spur- und Schreibbewegung im SchreibMotorikLernKonzept: Beschleunigung – Tempo – Druck – Bewegungsprofil – Form und Rhythmus. In ihrer Wechselwirkung bilden sie die Katalysatoren für eine erfolgreiche SchreibMotorikPraxis. Grafisch angedockt sind jeweils drei Ausführungsvarianten (z. B. konstant schneller – variieren – gezielt stoppen), die in Trainingssequenzen umgesetzt werden sollten. Alle Module sind intermodal miteinander vernetzt; das Farbschema und der Farbverlauf deuten dies grafisch an.
Das bedeutet: Es wird nicht isoliert z.B. im Trainingsfeld Druck trainiert, sondern es werden z.B. Druckverläufe variiert und gezielt mit anderen Wahrnehmungsqualitäten aus den Modulen Rhythmus, Form und Tempo gezielt interagiert. Dieses Prinzip gilt im Spuren und Schreiben für alle Trainingsinhalte aus der SchreibMotorikPraxis, egal ob es sich um die Grundbewegungen des Schreibens handelt, ob schreibmotorische Grundkompetenzen (Kritzeln, Kringeln, …) auf dem Programm stehen, oder aber ob mit Buchstaben in anderen SchreibKontexten trainiert wird.
In der Grafik wird durch das Farbschema und den Farbverlauf auch immer eine zunehmende Helligkeit visualisiert. Damit soll die Aufmerksamkeit auf die Geschwindigkeitsverläufe gelenkt werden. Kinder neigen dazu, zu langsam zu spuren und zu schreiben, ihre Schreibbewegungen sind kontrolliert und verhindern so ein automatisiertes Schreiben.
Je heller desto schneller
Mit den Kindern, den SchreibNeulingen, wurde dieser Spruch im SchreibTraining entwickelt und in der SchreibLernphase mit den „Regenbogenfarben“ ritualisiert. Die verschiedenen Trainingsprozesse beim Spuren und Schreiben (z.B. Bewegungshandlung erfassen, Bewegungsabläufe zunehmend sichern, Geschwindigkeiten steigern, Vorausplanung trainieren, ….) wurden von den Kindern selbst gesteuert.
Dunkelfarbiges Papier bedeutete immer: Ich lasse mir Zeit, ich probiere aus, ich muss nicht schneller sein. Mit helleren Farben stieg auch die Experimentierfreude: Geht es schneller? Kann ich etwas verändern? Wie fühle ich mich dabei? Auch sprachlich fanden die Kinder lustige Formulierungen für Tempowechsel. „Schalte den Turbo ein“, „Gib Gas“, „Schlaf nicht ein“, … Die Übertragung auf Druckverläufe ist dann nur noch eine Formsache. „Je heller, desto leichter, je dunkler, desto fester“.
In der SchreibLernPhase wurde zunächst im 3-Farben-Zyklus (dunkel – heller – ganz hell bzw. rot – grün – gelb) und später im 2-Farben-Zyklus (dunkel – heller bzw. gelb – weiß) trainiert und die Umsetzung reflektiert. Im Trainingsablauf unterstützen Orientierungshilfen die beginnenden Rituale. Ein stilisierter Stift mit den kinematischen Parametern ist eine hilfreiche Erinnerung, wenn es darum geht, ausgewählte kinematische Parameter während einer Trainingsphase zu beachten, z.B. beim Schreiben eines „K“.
Eine kurze Schreibanalyse zum besseren Verständnis
Das „K“ ist für Kinder nicht leicht zu schreiben. Die Abbildung links zeigt vergrößert, wie schwierige Nahtstellen bei der Ausführung gelöst wurden. Zuerst der Strich von oben nach unten, dann die schrägen Striche von rechts oben nach links und weiter nach rechts unten. Die Form wäre im Ansatz richtig, die Strichführung für das Bewegungsprofil hat dieser Junge aus der 4.Jgst. genau umgekehrt ausgeführt.
In der rechten Abbildung ist die Bewegungsausführung der drei Striche korrekt, die verwirrenden Luftbewegungen (gepunktete Linien) zeigen in der Analyse mit CS-Win, wie der Sechstklässler immer auf der Suche nach den korrekten Bewegungsabläufen und Verbindungen der beiden Striche war.
Trainingsphasen und kinematische Abläufe
Die korrekten Bewegungsabläufe werden zunächst bewusst gesteuert und sprachlich begleitet ausgeführt. Die Schrägstriche werden winklig und konstant in einem Zug ausgeführt, dann werden die Größen verändert und die Proportionen beachtet. Alle Abläufe werden immer gedanklich begleitet, so dass das Bewegungsprofil vorausschauend geplant, schnell abgerufen und immer schneller ausgeführt werden kann.
Mit verschiedenen Stiften (weicher Bleistift, Farbstifte, Kreiden, …) und auch auf weichem Untergrund können Druckveränderungen taktil erspürt und die Spurbewegungen auch bei wechselnder Helligkeit wahrgenommen werden. Schreibanfänger üben zunächst im 3-Farben-Zyklus und steigern die Geschwindigkeit, sobald das Bewegungsprofil sicher gelingt. Mit zunehmender Beschleunigung können die Kontaktpunkte nicht mehr eingehalten werden, Toleranzbereiche verändern dann das Bewegungsprofil.
Die rhythmischen Abläufe für den Strich und die beiden Schrägstriche erfolgen zunächst im Viertelrhythmus, also alle Striche gleich schnell, dann mit Vierteln im Abstrich und zwei Achteln in den Schrägstrichen. Das „K“, „k“ wird dann in SchreibKontexten schreibmotorisch abgerufen und – wann immer möglich – kinematisch trainiert.
Die förderdiagnostische Beobachtung erfolgt individuell und in größeren Zeitabständen.
Verlauf des Lernprozesses beim Erlernen zunehmend automatisierter Spur- und Schreibbewegungen
Die folgende Abbildung zeigt einen idealtypischen Verlauf des schreibmotorischen Lernprozesses. Er beginnt mit den ersten Spurversuchen der Kinder und führt zum Schreiben der ersten Kritzelbriefe im beginnenden SchriftSpracherwerb. Auf diesem Weg vom Elternhaus über die KiTa, die vorschulischen Einrichtungen bis zum Schuleintritt machen die Kinder vielfältige sensomotorische Erfahrungen mit Stiften, Mal- und Zeichenformen und mit der eigenen Körperwahrnehmung. In einem funktionierenden Lernverlauf wird die Bewegungsausführung kontinuierlich ökonomischer gestaltet und automatisiert.
Der idealtypische, grafische Ablauf suggeriert auf den ersten Blick, dass Kinder über keine automatisierten Bewegungsabläufe verfügen. Die SchreibMotorikForschung zeigt jedoch Überraschendes. Kinder verfügen über grundlegende Bewegungsabläufe beim Schreiben, die bereits automatisiert ablaufen. Die Grafik beginnt also nicht bei Null. Automatisierte Bewegungsabläufe können trainiert werden und stellen sich individuell schnell ein. Sie müssen aber auch bewusst trainiert werden, damit eine kontrollierte Bewegungsausführung schneller überwunden wird, als es die Grafik suggeriert. Von Anfang an richtig ist die Devise.
Seltsamerweise gehen diese automatisierten Bewegungsabläufe, die Kinder vor der Schule erworben haben, durch die traditionellen Methoden des Schreibunterrichts in der Schule wieder verloren. Es gibt offensichtlich Hürden im SchreibLernprozess, die einer automatisierten Bewegungsausführung im Wege stehen und ein effizientes Schreiben verhindern.
- Einschleifen der Zielbewegung
- Buchstaben als ideales Vorbild
- Formorientierung
- Lineatur
- Verbundenes Schreiben
- Feedback von außen
- Fehlervermeidung
- Vertrauen in den Schreiblehrgang
In der Phase des SchreibenLernens ist es fatal, wenn sich falsche Bewegungsabläufe bei Buchstaben oder Buchstabenverbindungen automatisieren. Dies ist immer dann der Fall, wenn schreibmotorische Abläufe immer wieder auf die gleiche Weise falsch ausgeführt werden und niemand korrigierend eingreift. Häufig sind die Betroffenen schreibmotorisch geschickt und wollen nur schneller schreiben. Sie verändern ihre Buchstaben oder Wortverbindungen schreibtechnisch so bizarr, dass ihre Handschrift regelrecht zerfällt. Die erste Option in der Schreibförderung ist dann das unverbundene Schreiben.